Ist eine Tautologie ein Gesetz, Thomas Piketty?
Obwohl Thomas Piketty in seinem Buch <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Kapital_im_21._Jahrhundert" target="_blank" rel="noopener noreferrer"><em>Das Kapital im 21. Jahrhundert</em></a> einige Ausführungen zu ökonomischer Theorie macht, will er vor allem durch die Empirie und seine historischen Ausführungen bestechen:
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Dennoch gibt Piketty sich mit seinen empirischen Ergebnissen nicht zufrieden und extrapoliert aus empirischen Regelmäßigkeiten eine allgemeine Gesetzmäßigkeit (r > g) und sogar zwei »Gesetze des Kapitalismus«. Was Piketty als »Gesetze« anpreist, entpuppt sich jedoch als »tautologische Beschreibungen«, so taz-Redakteurin Ulrike Herrmann.
Piketty schreibt selbst, dass das erste Gesetz, »the law α = r × β is actually a pure accounting identity, valid at all times in all places, by construction«, also gar kein Gesetz sei. Warum er es dann trotzdem aufstellt, bleibt unklar. Das Gesetz ist nicht mehr als eine Definition, nämlich, dass der Anteil des Kapitaleinkommens am gesamten Volkseinkommen genauso groß ist wie das Produkt aus Kapitalrendite und dem Kapital-Einkommen-Verhältnis.
Ähnlich verhält es sich mit dem »zweiten Gesetz«. In langfristiger Perspektive, so Piketty, verhält sich das Kapital-Einkommen-Verhältnis »in a simple and transparent way to the savings rate s and the growth rate g according to the following formula: β = s / g«. In einer derartigen Gleichung ist jedoch das eigentlich Interessante, wie sich die Größen im Prozess zueinander verhalten, welche Größe sich wie und warum bewegt und welche sich warum anpasst. Für eine derartige Schlussfolgerung bedarf es jedoch einer Aussage über ökonomische Wirkzusammenhänge – einer Theorie (und eben keine keiner Geschichte). Das lässt sich an einer in Lehrbüchern weitverbreiteten Aussage verdeutlichen.
Auch die Gleichungen I = S, also die Investitionen entsprechen dem Sparvolumen, beschreibt zunächst einmal nur einen funktionalen Zusammenhang, der nicht mit einer kausalen Wirkungen identisch ist. Aus der volkswirtschaftlichen Gleichung I = S folgt daher nicht, welche Größe sich anpasst, um diese Gleichheit herzustellen. Führt eine große Ersparnis zu großen Investitionen (so etwa in der Neoklassik) oder führen große Investitionen zu einer Steigerung des Volkseinkommens, aus dem dann mehr gespart wird (wie im Anschluss an John M. Keynes viele Ökonomen behaupten).
Piketty expliziert seine Position hierzu nicht. Dennoch unterstellt er einen Zusammenhang, wie Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker anhand einer Aussage Pikettys herausstellen, wobei sie bekanntermaßen der keynesianistischen Theorie anhängen[2. wobei sich auch über die keynessche Theorie streiten lässt]:
Harrod-Domar-Solow-Formel
Pikettys Kritik an der Mathematisierung ökonomischer Theorie ist durchaus berechtigt, aber eben noch lange kein Grund, vordergründig vor allem empirisch zu arbeiten, im Kern aber neoklassische Prämissen zu teilen, also dem Paradigma der Wirtschaftswissenschaften zu folgen, das in den letzten 40 Jahren die Hochschulen und Lehrbücher beherrscht. Das ist der Grund, warum etwa Jakob Kapeller vom Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie der Uni Linz Pikettys »offensichtliches Bemühen« kritisiert, »die ökonomische Fachwelt und die von ihr artikulierten Theorien nicht allzu heftig zu düpieren.«[2. Siehe hierzu auch die »Special issue on Piketty’s Capital« (pdf) der real-world economics review] Piketty ist demnach theoretisch nicht nur nicht mit Marx vergleichbar, wie er selbst nicht müde wird zu betonen, sondern nicht einmal mit Keynes, der zumindest einen Bruch mit den theoretischen Grundlagen des neoklassischen Mainstreams vollzog.
Thomas Steinfeld kritisiert daher in der Süddeutschen Zeitung zurecht, dass Pikettys »Überheblichkeit gegenüber Thomas Malthus, David Ricardo oder Karl Marx« unangemessen sei, denn »diese hatten sich darum bemüht, eine bestimmte Wirtschaftsform zu erklären, anstatt nur deren Wirkungen zu addieren.« Ulrike Herrmann spitzt zu: »Als Theoretiker kann man Piketty also abhaken.«
Piketty übt sich als Wirtschaftshistoriker in un-ideologischer Attitüde, bleibt aber in den neoklassischen Annahmen verfangen – und damit für den Mainstream anschlussfähig. Wie auf Grundlage neoklassischer Grundannahmen linke Positionen nicht nur formuliert, sondern auch begründet werden sollen, ist mehr als erklärungsbedürftig.
→ Zum Dossier »Pikettys Das Kapital im 21. Jahrhundert«.
→ Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe zu: Stephan Kaufmann/Ingo Stützle: Kapitalismus: Die ersten 200 Jahre. Thomas Pikettys »Das Kapital im 21. Jahrhundert« – Einführung, Debatte, Kritik (Berlin 2014).
Anmerkungen: